Traditionell hat YouTube zu Jahresbeginn einen Rückblick auf die erfolgreichsten „YouTube ads of 2010“ veröffentlicht. An der Spitze steht – wenig überraschend – das Old-Spice-Video „The Man Your Man Could Smell Like“. Derartige Werbevideos gehören heute zum Internet wie das „www“. Welche Folgen aber hat das Virale Marketing für die „digitale Öffentlichkeit“ und die Kommunikation im Internet?
In den „klassischen“ Printmedien ist Werbung für den Verbraucher in der Regel klar als solche erkennbar. Das Label „Anzeige“ trennt – bei funktionierender Selbstkontrolle unabhängiger Medien – den käuflichen vom unverkäuflichen Teil der Druckseiten. Daraus folgt auch, dass Schleichwerbung hierzulande grundsätzlich unzulässig ist.
Das kommerzielle Werben in die Privatsphäre hinein ist zudem noch weitaus strenger reglementiert. Beispielsweise ist Telefonwerbung, die ohne vorheriges Einverständnis des Verbrauchers erfolgt, seit Mitte 2009 strikt untersagt, um die Belästigung durch Anrufe von Call-Centern zu unterbinden. Bei einem Verstoß droht den Unternehmen eine Geldbuße bis zu 50.000 Euro.
Wie aber sieht es im Internet aus? Hier hat sich der kommerzielle Kundenfang in eine nur schwer zu kontrollierende Plage entwickelt. Der allgegenwärtigen Reklame müssen sich die Nutzer zudem mit eigenen Mitteln erwehren – gleich ob sie privat oder öffentlich kommunizieren: Adblocker unterdrücken aufdringliche Werbebanner und hinterhältige Layer Ads; Spamfilter verbannen einen Großteil „sex-ueller Akt*i-vitaeten“ aus der privaten Inbox.
Vor einer bestimmten Art der Werbung können sich die Nutzer allerdings nur schwerlich schützen: viralen Werbevideos. Im Gegenteil wirken jene an der Verbreitung dieser zumeist unterhaltsamen Filmchen aktiv mit.
Erst vor wenigen Tagen hat Youtube einen Rückblick auf die besten „YouTube ads of 2010“ veröffentlicht. An der Spitze steht – wenig überraschend – das sensationell erfolgreich Old-Spice-Video „The Man Your Man Could Smell Like“. Über 25 Millionen Nutzer klickten das Video mit dem ehemaligen NFL-Spieler Isaiah Mustafa allein 2010 an. Die rasante Verbreitung des Videos ließ die Verkaufszahlen der einst angestaubten Herrenpflegeserie rasant in die Höhe schnellen.
Wie aber erklärt sich der Erfolg solcher Viral-Marketing-Kampagnen?
Zum Ersten entlassen die Marketingabteilungen ihre Werbeviren gezielt in jene Kanäle, die die meisten von uns inzwischen zur alltäglichen Kommunikation verwenden: Facebook, Twitter und YouTube. Die Gerade Soziale Netzwerke bieten den idealen Nährboden, die Werbebotschaften „viral“, wie Viren, innerhalb kürzester Zeit von einem Nutzer zum anderen zu übertragen.
Ein zweiter Grund für den Erfolg: Bei diesen Werbefilmen versagen herkömmliche Filtersysteme. Fraglich ist zudem, ob die Mehrheit der Internetnutzer die Videos ausblenden würde, selbst wenn sie es könnten. Denn die Kurzfilme werden drittens häufig auf Empfehlung von Freunden, Kollegen und Bekannten weitergeleitet – auch weil – last but not least – die jeweilige Produktempfehlung durch den humorvollen, erotischen oder einfach auch nur kreativen Inhalt subtil in den Hintergrund gerückt wird.
Der Erfolg im Netz geht inzwischen auch zu Lasten herkömmlicher Werbung – sehr zum Verdruss bisheriger Werbepartner. Volkswagen setzt bereits heute bisweilen voll und ganz auf das Social Web. Erstmals stellte der Wolfsburger Autobauer im vergangenen Jahr den neuen Polo-GTI im Rahmen der Kampagne „Fast Lane — Driven by Fun“ ausschließlich auf Facebook vor. In dem dazugehörigen Werbevideo ist das angepriesene Automodell gar nicht zu sehen. Überhaupt: Erst am Ende des Films erschließt sich Herkunft und ungefährer Zweck der gutgelaunten Botschaft.
Bisweilen kann solche – buchstäblich mysteriöse – Werbung auch für kalkuliertes Entsetzen sorgen: Im Herbst vergangenen Jahres tauchte bei Chatroulette ein Video auf, das eine vermeintlich freizügige Frau zeigte, die sich – statt zu entkleiden – plötzlich in eine furchteinflößende Dämonin verwandelte. Entsprechend groß fiel der Schock bei den zumeist männlichen Gesprächspartnern aus. Dabei kündigte der kurze Einspieler nur einen neuen Horrorfilm, „Der letzte Exorzismus“, an.
So unterhaltsam dies Form der Produktwerbung auch sein mag – fragwürdig ist, dass sie ohne Folgen für die „digitale Öffentlichkeit“ und die Kommunikation im Internet bleibt.
Tatsächlich stellt virales Online-Marketing, da es ohne Unterschied auf sämtliche Kommunikationskanäle zugreift, ein mächtiges, zugleich aber ebenso beunruhigendes Instrument dar. Denn im Zuge der kommerziellen Verseuchung „digitaler Öffentlichkeit“ wandelt sich nach und nach der Kontext unseres gesamten Kommunikationsverhaltens.
In dem zunehmenden Störfeuer latenter Werbebotschaften stellt die Einhegung der Reklame und damit die Filterung relevanter Informationen eine zusehends größere Herausforderung dar. Die Camouflage-Werbung fordert dem Nutzer weitaus größere hermeneutische Leistungen ab, als beispielsweise das private Telefongespräch. Schon heute sind wir gezwungen, unentwegt die „lebensweltlichen“ von den kommerziellen Botschaften zu unterscheiden, um die für uns unmittelbar relevanten Nachrichten aus dem Gesprächsstrom herausfiltern zu können.
In Folge dessen drohen ökonomische Interessen unser Selbstverständnis wie auch die Wahrnehmung des Gegenüber zu okkupieren und nachhaltig zu verändern. Kurzum: Am Ende dürfte sich nicht weniger als unser gesamter Kommunikationskontext grundlegend zu wandeln. Denn die allgegenwärtigen, unterschwelligen Werbebotschaften führen dazu, dass wir uns im Netz – selbst in geschlossenen, virtuellen Freundeskreisen – zunehmend weniger als Homme oder Citoyen begreifen, sondern mehr und mehr als Consommateur verstehen – und als solche interagieren.
Nutznießer dieser konsumtiven Durchdringung der Kommunikation wären jedoch ausschließlich die werbenden Unternehmen. Die „digitale Öffentlichkeit“, verstanden als soziale Handlungssphäre, bräche hingegen bereits auseinander, bevor sie sich überhaupt voll entfalten konnte.
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