Big Data soll ein effektiveres und wirkungsvolleres Handeln des Militärs ermöglichen. Allerdings drohen Kriege damit nicht nur automatisiert, sondern zugleich zum Mittel erster Wahl zu werden. Die Folgen sind dramatisch – auch und gerade für die Demokratie.
In Gefechtssituationen herrscht der „Nebel des Krieges“, wie es einst der preußische Militärtheoretiker Carl von Clausewitz ausdrückte (1834, S. 23). Demnach ist der Krieg „das Gebiet der Ungewißheit; drei Vierteile derjenigen Dinge, worauf das Handeln im Kriege gebaut wird, liegen im Nebel einer mehr oder weniger großen Ungewißheit“. Das Schlachtfeld gerate damit zu einem „Gebiet des Zufalls“.
Um diesen Nebel zu lichten, stößt das Thema Big Data längst nicht nur bei kommerziellen Unternehmen, sondern auch bei Militär und Geheimdiensten auf großes Interesse. Sie erhoffen sich durch die Erfassung und Auswertung großer Datenmengen genauere Prognosen und damit strategische Vorteile – weit über das Schlachtfeld hinaus.
Als Big Data bezeichnet man gemeinhin „Datensätze, deren Größe die Fähigkeit herkömmlicher Datenbankwerkzeuge zur Erfassung, Speicherung, Verwaltung und Analyse übersteigt” (McKinsey 2011, S. 1). Insbesondere drei V’s charakterisieren diese: volume, variety und velocity – zu Deutsch: Volumen, Vielfalt und Geschwindigkeit. Demzufolge sind die Daten so umfangreich, dass Menschen sie ohne technische Hilfe nicht mehr analysieren können (volume). Darüber hinaus unterscheiden sie sich sowohl in ihrer Art – etwa ob sie in Form von Tabellen, E-Mails, Fotos, PDF-Dateien, Videos oder Audio bereitstehen – als auch darin, ob sie strukturiert oder unstrukturiert vorliegen (variety). Und nicht zuletzt wächst die Geschwindigkeit stetig an, mit der Maschinen und Menschen weitere digitale Daten erzeugen (velocity). Schätzungen zufolge werden wir 2025 rund zehn Mal so viele digitale Daten generieren wie im Jahr 2016 (Statista 2018).
Den »Nebel des Krieges« lichten: Wie das Militär Big Data entdeckt
Bereits 2013 äußerte die Führung der US-Armee die Sorge, dass „es massive Folgen nach sich zieht, wenn Big Data und die damit verbundenen Technologien […] ignoriert werden, einschließlich des Verlustes von Menschenleben und dem Scheitern von Missionen“ (Couch/Robins 2013, S. 3). In den vergangenen Jahren konzentrierte sie sich daher darauf, Waffensysteme mit neuen Computern auszustatten, Akteure auf dem Gefechtsfeld zu vernetzen sowie digitale Führungsinformationssysteme einzuführen und zu optimieren (Teufel 2016, S. 50). Unterstützt wird die Armee dabei von der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), einer Forschungsbehörde des US-Verteidigungsministeriums, deren Aufgabe es ist, die technische Überlegenheit des Militärs aufrechtzuerhalten. Die Behörde verfügt über ein Jahresbudget von rund drei Mrd. US-Dollar.
DARPAs Know-how benötigt die US-Armee dringend, gerade mit Blick auf Big Data sind die technischen Herausforderungen immens. Die Daten entspringen zumeist gänzlich unterschiedlichen Quellen: Maschinendaten entstammen etwa den Bewegungen von Schiffen, Flugzeugen, Panzern und Satelliten, Sensoren am Kriegsschauplatz und Radarstationen. Menschliche Daten hingegen werden in sozialen Netzwerken wie Facebook, YouTube oder Twitter generiert. Es ist somit erforderlich, die Daten zu sammeln, zu säubern, durchsuchbar zu machen, um sie schließlich mittels aufwändiger Algorithmen auszuwerten.
Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse nutzen Armeen beispielsweise dazu, ihr Personalwesen und ihre Logistik zu optimieren. So wertet die israelische Armee die persönlichen Angaben ihrer Rekrut*innen mit Rechnerhilfe aus, um diese automatisch an die für sie geeigneten Positionen innerhalb der Armee zu versetzen. Und die Bundeswehr arbeitet mit Hilfe der SAP-Software »SAP Analytics« an einer vorausschauenden Wartung (predictive maintance), um ihre Materialprobleme in den Griff zu bekommen.
Eine weitaus bedeutendere Rolle nehmen Big-Data-Analysen jedoch im Bereich der Überwachung in Krisenregionen und unmittelbar auf dem Gefechtsfeld ein. Gerade hier fallen ungemein große Datenmengen an, die möglichst in Echtzeit bereitgestellt und ausgewertet werden müssen.
So nutzt die US-Armee bereits seit einigen Jahren das hochauflösende Videoüberwachungssystem ARGUS-IS, das – an Drohnen angebracht – aus einer Höhe von bis zu 5.000 Metern ein Gebiet von bis zu 35 Quadratkilometern überwachen kann. Bei seinem Einsatz fallen jedoch pro Sekunde rund 40 Gigabytes an Daten an, rund 6.000 Terabyte am Tag. Zum Vergleich: Eine handelsübliche Festplatte verfügt etwa über ein bis zwei Terabytes an Speicherplatz.
Schulter an Schulter: das Pentagon und das Silicon Valley
Diese Daten auszuwerten, stellt ein überaus ressourcen- und zeitaufwändiges Unterfangen dar. Beharrlich spricht sich daher seit Jahren unter anderem der Stabschef der US-Luftwaffe, General David Goldfein, dafür aus, dass die mächtigste Armee der Welt mit den mächtigsten Digitalkonzernen kooperieren müsse (Erwin 2017). Beim ehemaligen Google-Vorstandsvorsitzenden Eric Schmidt rannte er damit offene Türen ein. Dieser hatte bereits 2013 in seinem Buch »Die Vernetzung der Welt« prognostiziert: „Was der Rüstungskonzern Lockheed Martin im 20. Jahrhundert war, werden Technologie- und Cybersicherheitsunternehmen im 21. Jahrhundert sein.“ (Schmidt/Cohen 2013) Inzwischen betreibt Schmidt höchstpersönlich und an vorderster Front den Aufbau des cyber-militärischen Komplexes mit: Er steht heute nicht mehr Google, sondern dem 2016 gegründeten Defense Innovation Board vor. Dieses hat die Aufgabe, die technologischen Innovationen des Silicon Valley in die US-Armee einfließen zu lassen (Leisegang 2015).
Allerdings musste das Vorhaben jüngst einen herben Rückschlag hinnehmen. Ausgerechnet Schmidts ehemaliger Arbeitgeber Google entschied, die Zusammenarbeit mit dem Pentagon einzustellen. Konkret ging es in dem »Project Maven« darum, Drohnenaufnahmen, wie jene des ARGUS-IS, anhand von insgesamt 38 Kategorien automatisch auszuwerten. Auf diese Weise sollen Rechner in die Lage versetzt werden, eigenständig Menschen von Gebäuden, Fahrzeugen und Waffen zu unterscheiden. Google verfügt hierfür nicht nur über die erforderlichen KI-Expert*innen, sondern auch über einen umfangreichen Datenschatz, der für das so genannte Maschinenlernen unentbehrlich ist. Der Direktor des Projekts, Generalleutnant John Shanahan, sieht sein Projekt darüber hinaus als den Funken, an dem sich „die Flammenfront der Künstlichen Intelligenz“ im gesamten Verteidigungsministerium entzünden solle. Nach Informationen des Wall Street Journal gab das Pentagon im vergangenen Jahr rund 7,4 Mrd. US-Dollar im Zusammenhang mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz aus (Barnes/Chin 2018).
Rund ein Dutzend Google-Angestellte kündigten indes aus Protest gegen die Zusammenarbeit; mehrere Tausend Mitarbeiter*innen unterschrieben eine Petition, der zufolge Google „nichts im Kriegsgeschäft verloren hat“.[1] Letztendlich verzichtete der Konzern darauf, den Vertrag mit dem Verteidigungsministerium zu verlängern. Er läuft Ende des Jahres aus. Googles Platz wird nun voraussichtlich Amazon einnehmen. Der führende Cloudanbieter ist ebenfalls an den Vorarbeiten zum »Project Maven« beteiligt und arbeitet seit Jahren unter anderem eng mit der CIA zusammen.
Damit steigen zugleich Amazons Chancen, einen weitaus lukrativeren Großauftrag an Land zu ziehen, um den derzeit viele der großen US-amerikanischen IT-Unternehmen ringen: den Aufbau der »Joint Enterprise Defense Infrastructure« (Jedi) – ein gigantisches Speichersystem samt Datenanalyse mit künstlicher Intelligenz. Die smarte Cloud soll nicht nur sämtliche Armeeeinheiten, Basen und Kriegseinsatzgeräte der USA miteinander vernetzen, sondern obendrein deren Bestände an Munition, Reparaturteilen und Kraftstoffen erfassen, um die Logistik auf dem Schlachtfeld zu optimieren. Rund zehn Mrd. US-Dollar stellt das Verteidigungsministerium dafür bereit.
Der Krieg der Roboter
Big-Data-Analysen sollen allerdings nicht nur die Logistik optimieren, sondern auch den Waffeneinsatz und damit das Töten effektiver gestalten. Die militärische Fachzeitschrift »Defense One« vermeldete, dass die Arbeit des »Project Maven« auch die Treffergenauigkeit von »Killerdrohnen«, wie Reaper und Predator, erhöhen soll – und bestätigte damit die Befürchtungen der Google-Mitarbeiter (Weisgerber 2017).
Geht es nach dem Pentagon, sollen Killerroboter die dritte Revolution der Kriegsführung einleiten – nach Schießpulver und Nuklearwaffen. Bereits heute verfügt die US-Armee über Drohnen, die eigenständig über den Waffeneinsatz entscheiden können. Laut Stabschef General Mark Milley will sie ab dem Jahr 2021 Prototypen für bemannte, unbemannte und hybride Gefechtsfahrzeuge auf dem Schlachtfeld testen. Ab 2031 sollen autonome Waffen- und Aufklärungssysteme dann fester Bestandteil der US-Heeresformationen sein (Lezzi 2018).
Die US-Armee ist nicht die einzige, die ihre Kriegsführung automatisieren will: Auch die russische Armee plant derzeit die Anschaffung weitgehend autonom agierender Roboterpanzer. Und ausgerechnet an der »heißen« Grenze zwischen Nord- und Südkorea wachen bereits seit Jahren mit Maschinengewehren ausgestattete»Sicherheitsroboter« der Firma Samsung.
Der Einsatz von autonom agierenden Waffensystemen droht jedoch den Weg dafür zu ebnen, „bewaffnete Konflikte in nie gekanntem Ausmaß zu führen und schneller, als Menschen sie begreifen können“, wie mehrere hundert Fachleute für Künstliche Intelligenz in einem offenen Brief warnen (Krüger 2018). Dessen ungeachtet steht eine internationale Regulierung der Killerroboter nach wie vor aus. Zwar verhandelten Ende August unter dem Dach der Vereinten Nationen in New York mehr als 75 Staaten über die Regulierung (teil-) autonomer Waffensysteme. Allerdings verhinderten allen voran die USA und Russland eine verbindliche Vereinbarung. Die Abrüstungschefin der Vereinten Nationen, Izumi Nakamitsu, warnt eindringlich, „dass die technologische Innovation der zivilen Kontrolle entgleitet“; ein Missbrauch der KI aber habe „potenziell katastrophale Konsequenzen“ (Nakamitsu 2018).
Die Krisen von Morgen bekämpfen
Die Konsequenzen werden sich nicht nur auf das Schlachtfeld beschränken – ganz im Gegenteil, denn die Armeen wollen weitaus mehr als nur den »Nebel des Krieges« lüften: Big-Data-Analysen sollen es ihnen obendrein ermöglichen, einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Schon heute nutzen zahlreiche Armeen Big-Data-Analysen, um zurückliegende Ereignisse und ihre Folgen zu analysieren und auszuwerten (descriptive analytics). Dadurch erhoffen sie zum einen Lerneffekte, zum anderen sollen die gewonnenen Informationen auch den Ausgang künftiger Szenarien oder Ereignisse vorhersagen (predictive analytics). Am Ende sollen Rechner in die Lage versetzt werden, Armeen mittels Datenanalyse entsprechende Handlungsoptionen vorzugeben (prescriptive analystics).
Besonders interessiert zeigen sich die Armeen an der Vorhersage drohender politischer und militärischer Krisen- und Bedrohungslagen, wie die Ukraine-Krise oder den Arabischen Frühling. Beide Ereignisse hatten weder die westlichen Geheimdienste noch die militärischen Führungen vorhergesehen (SPIEGEL ONLINE 2014; Miller 2015).
Um auch hierzulande besser gewappnet zu sein, erstellt das Bundesverteidigungsministerium derzeit gemeinsam mit IBM die Studie »IT-Unterstützung Krisenfrüherkennung«. Sie verfolgt das Ziel, eine softwarebasierte Lösung zu entwickeln, die mithilfe von Big-Data-Analysen Krisen vorhersagen soll. Die Auswertung strukturierter und unstrukturierter Daten aus öffentlichen, offenen und als geheim eingestuften Quellen soll dem IBM-Programm Watson einen »Prognosehorizont« von sechs bis 18 Monaten ermöglichen (BMVg 2016).
Ähnliche Funktionen bietet IBM bereits seit längerem mit seinem System »Blue Crush« an, das Straftaten voraussagt und auch in mehreren Bundesländern zum Einsatz kam (Biermann 2015). Nun will IBM ein System schaffen, dass die gesamte Welt observiert. Das Bundesverteidigungsministerium schließt nicht aus, dass Watsons Prognosen auch militärische Konsequenzen nach sich ziehen könnten.
Somit wollen die Armeen dieser Welt nicht nur den »Nebel des Krieges«, sondern auch den Nebel der Politik lichten. Drohende Volksaufstände werden dabei offenkundig ebenso als Sicherheitsrisiko verstanden wie ein grenzüberschreitender Kriegsausbruch. In beiden Fällen kann das Militär dann frühzeitig eingreifen, um das eine wie das andere zu verhindern.
Dies aber hat zwei dramatische Folgen: Zum einen gilt der Einsatz kriegerischer Mittel noch immer als Ultima Ratio – als letztes Mittel, wenn vorangegangene politische Interventionen nicht zur Lösung eines Konflikts beigetragen haben. Sagen jedoch künftig Computersysteme Krisen voraus, könnte sich dieses Verhältnis umkehren. Damit könnten kriegerische Mittel weitaus früher zum Einsatz kommen als bisher – durch militärische Drohgebärden, Präemptivschläge oder gar dem Einmarsch in ein anderes Land.
Zum anderen gefährdet das prädiktive Vorgehen des Militärs das Wesen demokratischer Politik in ihrem Kern. Wenn Big-Data-Analyse nicht nur dem Krieg, sondern auch der Politik »Ungewißheit« und »Zufall« austreiben soll, setzt dies ein bestimmtes Verständnis sozialer und politischer Prozesse voraus: Diese werden als quasi mechanische Vorgänge begriffen, die sich mittels Rechenkraft analysieren und bewerten lassen. Auf drohende gesellschaftliche Problemlagen reagiert dann nicht länger eine Politik der Aushandlung und des Kompromisses, sondern eine mathematisch hergeleitete Sozialphysik, die, um Sicherheit und Stabilität zu sichern, kühl ihre Lösungsparameter vorgibt. Dass dies eine überaus bedrohliche Entwicklung ist, kann man sich bereits heute ausrechnen – auch ohne aufwändige Big-Data-Analyse.
Literatur
Barnes, J.E.; Chin, J. (2018): The New Arms Race in AI. Wall Street Jorunal, 2.3.2018.
Biermann K. (2015): Noch hat niemand bewiesen, dass Data Mining der Polizei hilft. zeit.de, 29.3.2015.
Bundesministerium der Verteidigung/BMVg (2016): »Gedanken« zum Weißbuch 2016 ‑ Krisen früh erkennen. bmvg.de.
Couch, N.; Robins, B. (2013): Big Data for Defence and Security. Royal United Services Institute, Occasional Paper, September 2013.
Erwin, S.I. (2017): Cold Dose of Reality on DoD Technology. nationaldefensemagazine.org, 19.4.2017.
Krüger, P.A. (2018): Wenn Maschinen über Leben und Tod entscheiden. sueddeutsche.de, 30.8.2018.
Leisegang, D. (2015): Der cyber-militärische Komplex – Die dunkle Seite des Silicon Valley. Wissenschaft und Frieden, No. 2-2015, S. 27-30.
Lezzi, B. (2018): Militärische Roboter werden die Kriegführung revolutionieren, www.nzz.ch, 27.8.2018.
McKinsey Global Institute (2011): Big data ‑ The next frontier for innovation, competition, and productivity. Juni 2011.
Miller, G. (2015): Former CIA official cites agency’s failure to see al-Qaeda’s rebound. washingtonpost.com, 3.5.2015.
Izumi Nakamitsu (2018): Remarks by Under-Secretary-General and High Representative for Disarmament Affairs Ms. Izumi Nakamitsu ‑ Opening of the August meeting of the 2018 Group of Governmental Experts on emerging technologies in the area of lethal autonomous weapons systems, Delivered by the Director of the Geneva Branch of the United Nations Office for Disarmament Affairs, Ms. Anja Kaspersen. 27.8.2018; un.org/disarmament.
Schmidt, E.; Cohen, J. (2013): Die Vernetzung der Welt. Berlin: Rowohlt.
Statista (2018): Prognose zum Volumen der jährlich generierten digitalen Datenmenge weltweit in den Jahren 2016 und 2025. statista.com.
SPIEGEL ONLINE (2014): US-Geheimdienste wollen Krim-Krise nicht verschlafen haben. spiegel.de, 7.3.2014.
Teufel, D. (2016): Big Data Analytics. Behörden Spiegel, No. 9/2016.
von Clausewitz, C. (1834): Vom Kriege. Köln: 2018 Anaconda.
Weisgerber, M. (2017): The Pentagon’s New
Artificial Intelligence Is Already Hunting Terrorists. defenseone.com,
21.12.2017.
[1] Die Petition steht unter static01.nyt.com/files/2018/technology/googleletter.pdf.
Der Text erschien erstmals in der Zeitschrift »Wissenschaft und Frieden«, Ausgabe 4/2018.
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