Mit der Zeitungskrise scheint die Erkenntnis einher zu gehen, dass man mit Journalismus kein Geld mehr verdienen kann. Schon seit langem befindet sich die verkaufte Gesamtauflage bundesdeutscher Tageszeitungen im Sinkflug. Es bedarf daher keiner hellseherischen Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass in den kommenden Monaten weitere Tageszeitungen ihren Vertrieb einstellen werden.
Dass journalistische Angebote jedoch auch erfolgreich sein können – zumal im Internet –, zeigt ein Blick auf die renommierte „New York Times“. Sie hat bereits 2011 ein Bezahlmodell für ihr digitales Angebot eingeführt. Nur ein Jahr danach verkauft die NYT bereits durchschnittlich mehr digitale als gedruckte Ausgaben. Haben wir es also möglicherweise gar nicht in erster Linie mit einer Krise der Zeitungen, sondern vielmehr mit einer Krise des Journalismus zu tun? Was aber bedeutet dies für die Verlage?
Die Ursachen für ihre Misere sehen die Medienhäuser zumeist im Wandel der Werbeindustrie und der „Gratismentalität“ der Internetnutzer. Tatsächlich geht das derzeitige Zeitungssterben aber auch und nicht zuletzt auf gravierende verlegerische Fehlentscheidungen der letzten Jahre zurück – allen voran auf eine rigide Sparpolitik.
Noch in den späten 90er Jahren herrschte dagegen in den hiesigen Presseverlagen geradezu Goldgräberstimmung. Das Internet versprach Einsparungen bei der Produktion, der Lagerung und beim Vertrieb. Zudem erwarteten die Verlagshäuser, mehr Geld mit dem Verkauf von Anzeigenbannern zu verdienen. Diese Rechnung ging jedoch nicht auf – im Gegenteil: Mit dem Internet vervielfachten sich die möglichen Werbeplattformen. Selbst die privaten Kleinanzeigen für den Arbeits- und Wohnungsmarkt werden heute im Netz statt in Tageszeitungen inseriert.
Die Online-Investitionen der deutschen Verlage erwiesen sich somit meist als Minusgeschäft. Im Internet hatten die Verlagshäuser zudem weitgehend auf Bezahlsysteme verzichtet. Daher sahen sie keine andere Möglichkeit, als mit drastischen Einsparungen auf die Einnahmenrückgänge im Anzeigengeschäft zu reagieren: Sie heuerten Manager an, die die Unternehmen verschlankten. Diese entließen zigtausende Journalisten, strichen Korrespondentenstellen und schlossen Auslandsbüros; an die Stelle seriöser Berichterstattung und investigativer Tiefenschürfung traten vielfach uninspirierte Kommentare und lieblos aufbereitete DPA-Meldungen.
Wie rasch die Entscheidung, das journalistische Produkt zu verschlanken, in einen Teufelskreis münden kann, zeigt exemplarisch das Schicksal der „Frankfurter Rundschau“. Dennoch konzentrieren sich die Medienhäuser weiter darauf, möglichst Kosten zu sparen und so das eigene Produkt zu entwerten. Erst Anfang Dezember kündigte die WAZ-Mediengruppe an, im kommenden Jahr 20 Prozent ihrer Kosten einsparen zu wollen. Besonders betroffen ist dabei die „Westfälische Rundschau“; offenbar erwägt die Führung der Mediengruppe sogar die vollständige Einstellung dieser Tageszeitung.
Neue Medienförderung durch die Hintertür
Doch die Verlage bekämpfen die Krise nicht nur mit rigider Sparpolitik, sondern gehen auch mit juristischen Mitteln gegen die Konkurrenz im Netz vor – mit weitreichenden Folgen.
So stellt das gebührenfinanzierte Online-Angebot der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten aus Sicht der privaten Medienunternehmen eine unzulässige Wettbewerbsverzerrung dar, die sie seit Jahren juristisch bekämpfen. Gebührenfinanzierte Inhalte von ARD, ZDF und Co. dürfen daher seit Inkrafttreten des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrags nur noch bis zu sieben Tage im Netz abrufbar sein. Danach müssen selbst aufwendig und teuer produzierte TV-Sendungen „depubliziert“ werden. Und auch die „Tagesschau App“, die Beiträge der „Tagesschau“ für Smartphones und Tablet-Computer aufbereitet, ist den privaten Anbietern ein Dorn im Auge. Eine Gruppe von Zeitungsverlagen strebt derzeit ein gerichtliches Verbot des „presseähnlichen“ Angebots an. Sollten sie sich durchsetzen, hätte der gebührenzahlende Zuschauer ein weiteres Mal das Nachsehen.
In den vergangenen Wochen hat sich zudem der Streit mit einem noch weitaus mächtigeren Gegenspieler zugespitzt – nämlich mit dem Suchmaschinenanbieter Google. Seit über drei Jahren betreiben verschiedene große Medienverlage – allen voran die Axel Springer AG – massive Lobbyarbeit für das sogenannte Leistungsschutzrecht (LSR), das eine Lizenzierung von Snippets im Internet vorsieht. Die Verlage argumentieren, dass Suchmaschinenanbieter mit Auszügen ihrer journalistischen Erzeugnisse hohe Gewinne erzielten, an denen die Verlage nun beteiligt werden möchten. Der derzeit dem Bundestag vorliegende Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum LSR sieht daher vor, dass „gewerbliche Anbieter“ wie Google selbst einzelne Sätze aus Artikeln nur verwenden dürfen, wenn dies zuvor – und gegen Gebühr – von den Verlagen genehmigt wurde.
Doch die Kritik an der „Lex Google“ ist groß – nicht nur im Netz. Zum einen bezweifeln Juristen die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes. Namhafte Urheberrechtsexperten des Max-Planck-Instituts für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht kritisieren, dass das bestehende Urheberrecht den von den Verlagen bemängelten Sachverhalt bereits ausreichend erfasse: Der Bedarf für ein LSR „wurde bislang in keiner Weise nachgewiesen“, zudem bestehe „die Gefahr unabsehbarer negativer Folgen“.[1] So drohe der schwammig ausgearbeitete Gesetzesentwurf zu mehr Rechtsunsicherheit und damit zu mehr Abmahnungen im Internet zu führen. Zum anderen zeigt sich auch die Pressebranche selbst uneinig. Gerade kleinere Verlage befürchten, dass eine Google-Steuer allein einflussreichen Großverlagen zugute kommt, die sich mit dem Internetkonzern auf Augenhöhe einigen können. Damit aber könnte das LSR – entgegen seiner Intention – umsatzschwächere Medien benachteiligen und am Ende die mediale Vielfalt hierzulande sogar weiter einschränken, statt sie zu fördern. Die eigentlich entscheidende Frage, die der Streit um das LSR aufwirft, lautet jedoch: Warum konzentrieren sich die Verlage – statt für eine Medienförderung durch die Hintertür zu kämpfen – nicht auf ihr Kerngeschäft: den Verkauf von unabhängigem und kritischem Journalismus?
Es hat den Anschein, als müssten die Verlage den Wert guter journalistischer Arbeit erst wieder begreifen. (Das zeigt sich nicht zuletzt an Begriffen wie „Paywall“ oder „Bezahlschranke“, die auch Verleger und Journalisten affirmativ nutzen.) Aber auch die Nutzer werden sich darauf einstellen müssen, dass die „Kostenloskultur“ im Internet ihrem Ende zugeht und journalistische Texte zunehmend nur noch gegen Bezahlung zu haben sein werden.
Dabei wird sich der Wandel der Mediennutzungsgewohnheiten nicht einfach umkehren lassen. Denn längst ist das Internet zu dem Medium geworden, das uns über die aktuellsten Geschehnisse auf dem Laufenden hält. Diese Art von Nachrichten werden auch weiterhin weitgehend kostenlos – und durch Anzeigen finanziert – abrufbar sein. Allerdings erfahren gerade lange Texte im Internet eine Renaissance. Als Gegenbild zum Fast-Food-Journalismus auf den Newsseiten bildet sich derzeit derCurating Journalism heraus. Regelmäßig empfehlen eine wachsende Zahl an Online-Diensten ausgewählte Reportagen, Essays und Porträts, die länger als 6000 Zeichen sein müssen.[2] An Nachfrage nach guten Texten besteht also kein Mangel.
Dabei ist es völlig zweitrangig, ob diese auf Papier, dem Bildschirm eines E-Book-Readers oder eines Tablet-Computers gelesen werden. Wichtig ist vielmehr, dass sich die Verlage und Redaktionen wieder auf ungewöhnliche Textinhalte statt auf sensationsheischende Schlagzeilen konzentrieren. Gewiss, investigative Recherchen und aufwendige Interviews erfordern mehr journalistischen Aufwand und kosten daher mehr Geld. Doch gerade Artikel, die aus der Informationsschwemme des Internet herausragen, eine kluge Einordnung der Geschehnisse vornehmen und dabei das Gegebene zugleich rückhaltlos hinterfragen, zeichnen guten Journalismus aus – auch aus Sicht der Leserinnen und Leser.
Mehr verlegerische Experimente wagen!
Um die Qualität und damit den Preis journalistischer Produkte wieder in den Vordergrund zu rücken, sind jedoch nicht nur journalistische Rückbesinnungen, sondern auch verlegerische Experimente notwendig, die über traditionelle Abo-Modelle und Anzeigenfinanzierung hinausgehen. Das erkennen allmählich auch die Verlage: Schon seit geraumer Zeit ist Bewegung in die Branche gekommen, die händeringend nach alternativen Finanzierungsmodellen sucht. Seit Mitte Dezember ist die Online-Ausgabe der „Welt“ nur noch gegen Bezahlung in Gänze zugänglich. Die Axel Springer AG hat sich dabei – ähnlich wie die NYT – für ein „nutzungsabhängiges Bezahlmodell“ entschieden: Fortan soll nur noch eine begrenzte Anzahl von Artikeln pro Monat für den Leser kostenlos abrufbar sein. Im Sommer soll dann sogar der Onlineauftritt der „Bild“ folgen und nur noch begrenzt kostenlos zugänglich sein.[3]
Selbst die „tageszeitung“ – lange Zeit ohne Einschränkung im Netz abrufbar – bewegt sich inzwischen auf ein Bezahlsystem zu. Derzeit versucht sie es noch mit der Aufforderung zu freiwilliger Bezahlung: Beim Aufrufen ihrer Website fragt ein großer Banner die Besucher „Wie viel ist unabhängiger Journalismus wert?“ und verknüpft diese Frage mit einer Spendenaufforderung.
Welches Finanzierungs- und Bezahlmodell sich am Ende auch durchsetzt – selbst Stiftungen und Genossenschaften sind denkbar –, fest steht, dass an dem ökonomischen und mentalen Wandel bei den Verlagen kein Weg vorbei führt. Denn unabhängiger Journalismus – so die schlichte, aber entscheidende Erkenntnis – ist kostenlos nicht zu haben.
Doch es gibt noch immer eine entscheidende Hürde: Alle Ansätze kranken bislang daran, dass das dafür erforderliche Bezahlsystem fehlt, das internetweit, sicher und benutzerfreundlich die Zahlung von Kleinstbeträgen ermöglicht. Um Online-Geschäfte sicher abwickeln zu können, kommt der Entwicklung dieses Systems fundamentale Bedeutung zu. Während es Aufgabe der Redaktionen ist, für guten Journalismus zu sorgen, besteht die Herausforderung der Verlage darin, benutzerfreundliche Micropayment-Systeme zu entwickeln. Alle Verlage sitzen in dieser Frage in einem Boot, deshalb könnte dies sinnvollerweise sogar in Kooperation geschehen. Am Ende obliegt es dann den Leserinnen und Lesern zu entscheiden, für welche Inhalte sie bereit sind, Geld zu zahlen. Das aber ist eine gute Nachricht: Denn dann bestimmen nicht mehr die Werbebudgets und Online-Klickzahlen den Wert eines journalistischen Angebots, sondern vor allem dessen Qualität.
[1] Vgl. www.ip.mpg.de/files/pdf2/Stellungnahme_zum_Leistungsschutzrecht_fuer_Ver…. Weder die „Süddeutsche Zeitung“ noch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ haben die Stellungnahme des MPI übrigens bislang auch nur in einer Zeile gewürdigt. Vgl. www.stefan-niggemeier.de/blog/dann-reden-wir-mal-ueber-zensur. Die Stellungnahme ist auf www.blaetter.de dokumentiert.
[2] Vgl. beispielsweise www.longreads.com, www.byliner.com oder www.liesmich.me.
[3] Vgl. „Frankfurter Rundschau“, 3.12.2012. Die „Blätter“ haben von Anfang an das sogenannte Freemium-Modell gewählt: Unterschiedliche Beiträge auf www.blaetter.de sind frei verfügbar, für alle anderen Texte werden geringe Einzelbeträge fällig; Online-Abonnenten erhalten für eine Jahresgebühr Zugang zu allen Artikeln.
(aus: »Blätter« 1/2013, Seite 100-104)
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