„Diaspora“: Die Freiheit liegt in der Verstreuung

Facebook versucht das Netz zu kolonialisieren, kommerzialisieren und zu zentralisieren. Die offene Vernetzungs- und Organisationsstruktur im Internet bietet allerdings effektive Möglichkeiten, sich gegen diese Vereinnahmung zu wehren: „Diaspora“ hat den Anspruch ein offenes und sicheres soziales Netzwerk zu werden und seinen Nutzern die Herrschaft über ihre privaten Daten zurückzugeben.

Das Internet ist potentiell unbeschränkt. Gerade seine technische Offenheit unterscheidet es fundamental von anderen Übertragungstechnologien. Seine „offene DNA“ ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass sämtliche Datenpakete, die man auf die Reise schickt, ohne Einschränkungen an ihr Ziel gelangen können.

Allerdings droht zunehmend eine Beschränkung dieser Offenheit vor allem durch kommerzielle Unternehmen wie Apple, Microsoft oder Google – aber auch durch Soziale Netzwerke wie Facebook.

Mehr noch: Lange Zeit galt beispielsweise Google als das erfolgreichste Werbeunternehmen im World Wide Web. Allerdings könnte Googles Stern bereits im Sinken begriffen sein. Denn bislang ist es dem Konzern nicht gelungen, erfolgreich ein eigenes Soziales Netzwerk einzuführen. Facebook hingegen hat in den vergangenen Jahren einen erstaunlichen Senkrechtstart hingelegt.

Bereits eine halbe Milliarde Menschen sind bei Facebook registriert. Das Netzwerk besitzt somit eine unvorstellbar große Datenbank der Intimitäten, in der über jeden einzelnen seiner Mitglieder detaillierte Angaben zu Vorlieben, Einstellungen und Freundeskreis gespeichert sind. Diese umfangreichen zentralen Datensammlungen sind eine wertvolle Ressource für die Unternehmen – insbesondere für den Werbemarkt.

So wie Google mit seinem informellen Firmenslogan „Don’t be evil“ behauptet, es wolle nichts Böses tun, nennt Facebook als Ziel „to make the world more open“. Ebenso wie Google missachtet Facebook jedoch nicht nur fundamentale Rechte der Internetnutzer. Das Unternehmen und sein heute 26jähriger Gründer Mark Zuckerberg planen zudem, Facebook und den Rest des Internet miteinander zu verschmelzen. Ziel ist es, Google zu überrunden und Facebook zum größten Online-Werbenetzwerk zu machen.

Hierfür muss das Netzwerk freilich nach außen durchlässiger werden und sich öffnen. So änderte Facebook im Dezember vergangenen Jahres von einem Tag auf den anderen ohne Rückfrage an die Nutzer die Datenschutzeinstellungen. Private Nachrichten, Kommentare oder Fotos, die bis dahin nur von Freunden eingesehen werden konnten, waren daraufhin öffentlich zugänglich. Nachdem es heftige Kritik hagelte, sah sich Facebook genötigt, eilig einen besseren Schutz der Privatsphäre der Nutzer zu versprechen.

Dieser Rückschlag kann Facebook aber nicht von dem Ziel abbringen, mit Hilfe seiner aggressiven Vermarktungsstrategien die ökonomische Durchdringung des gesamten Netzes anzustreben. So gab Zuckerberg im April dieses Jahres neue Funktionen bei Facebook bekannt. Sogenannte „Social Plugins“ dienen dazu, Webseiten, Videos und andere Webinhalte bei Facebook zu empfehlen. Die Plugins können auf jeder Website eingebaut werden und verfolgen vor allem den Zweck, den Einfluss Facebooks in sämtliche Winkel des World Wide Web auszuweiten.

Diese aggressive Landnahme droht das Web zu zentralisieren und damit fundamental zu verändern. Denn auf sämtlichen Seiten, auf denen die Plugins installiert sind, erfasst Facebook Informationen über das Surfverhalten aller Besucher dieser Angebote – ohne dass bekannt ist, welche Daten im Einzelnen ausspioniert und an die Netzwerkbetreiber gesendet werden.

Gegen die Pläne von Facebook formiert sich allerdings seit einigen Monaten wachsender Widerstand: Ein vierköpfiges Team aus New Yorker Studenten hat Mark Zuckerbergs Plänen den Kampf angesagt und arbeitet bereits an dem offenen Sozialen Netzwerk „Diaspora“. Der Name ist Programm: „Diaspora“ entstammt der griechischen Sprache und bedeutet ursprünglich „ausstreuen, sich zerstreuen“. Die Nutzer sind somit buchstäblich aufgerufen, sich von Facebook abzuwenden und sich zu verstreuen bzw. zu dezentralisieren. Das unmissverständliche Ziel der Entwicklergruppe lautet: Die Kontrolle über die eigenen Daten wieder zu erlangen.

Denn in dem dezentral organisierten Netzwerk Diaspora gilt die Privatsphäre als das höchste Gut. Jeder Nutzer soll fortan uneingeschränkt die Verfügung über seine eigenen Daten erhalten. Zudem soll die gesamte Kommunikation unter den Teilnehmern verschlüsselt erfolgen.

Die Mittel für dieses Gegenprojekt zu Facebook stammen nicht aus der Privatwirtschaft, sondern wurden ausschließlich von Internetnutzern gespendet. Über Kickstarter, ein Web2.0-Dienst, der Gelder für die Förderung unterschiedlichster Projekte sammelt, trugen die Projektgründer innerhalb weniger Tage über 200.000 US-Dollar zusammen. Ein Zeichen dafür, dass es ein großes Bedürfnis nach einer Alternative gibt.

Bereits im September soll im ersten Schritt eine dokumentierte API unter freier Lizenz veröffentlicht werden, inklusive Quellcode und Basisfunktionen. Allerdings wird anfangs noch ein wenig technische Handarbeit von den Nutzern erwartet: Der individuelle Diaspora-Knotenpunkt, der „Seed“, muss auf einen Webserver oder mit Hilfe von Cloud-Computing-Diensten hochgeladen werden.

Bisher gibt es von Dispora kaum mehr als ein paar Screenshots. Auch die Videos lassen noch nicht viel erkennen. Ist Diaspora somit nur eine Alternative für Geeks? Mitnichten, denn die Entwickler haben sich im zweiten Schritt bereits vorgenommen, die Einrichtung und den Gebrauch von Diaspora erheblich zu vereinfachen, so dass innerhalb weniger Minuten ein kinderleichtes Setup („a dead-simple, five-minute setup“) die Installation ermöglichen soll. Mit Hilfe der Open-Source-Community sollen darüber hinaus Updates und zahlreiche Add-ons bereitgestellt werden. So stellt das Entwicklerteam für spätere Versionen bereits Instant Messaging und Internettelefonie in Aussicht.

Bisweilen scheint es, als sei das Internet der erdrückenden Kommerzialisierung nicht gewachsen. Und auch der Ansatz, mit „Diaspora“ eine offene und sichere Alternative zu Facebook aufzubauen, mag auf den ersten Blick dem verzweifelten Unterfangen des kleinen Davids ähneln, mit einer einfachen Steinschleuder den riesenhaften Goliath niederzustrecken. Und 200.000 US-Dollar geben noch nicht Gewissheit, dass mit dem Open-Source-Netzwerk auch tatsächlich eine einfach zu bedienende Alternative zum zentralisierten, datenhungrigen Facebook heranreift.

Entscheidend aber ist: Am Ende wird es vor allem auf den Willen der Facebook-Nutzer ankommen, sich zu „zerstreuen“. Hätte Dispora jedoch Erfolg, wäre der durch Kleinspenden finanzierte, digitale Graswurzelwiderstand ein erneuter Beleg, dass das Internet sich durchaus auch gegen mächtige kommerzielle Interessen zur Wehr zu setzen vermag. Dann hätte – und das ist die Ironie der Geschichte – gerade die offene Vernetzungs- und Organisationsstruktur des Netzes dazu beigetragen, dass die Nutzer die Hoheit über ihre privaten Daten zurück erlangen.

Der Text erschien auch auf www.carta.info.


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