Die Kolonialisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Wenn aber der ökonomische Wettbewerb nicht vor den Gefahren einer kommerziellen Kolonialisierung schützen kann, wie sieht es dann mit Medien aus, die anders als über den Markt organisiert sind – beispielsweise der öffentlich-rechtliche Rundfunk?
Ein Marktversagen wie bei den Printmedien sollte hier daher auszuschließen sein. Aber auch der bundesdeutsche Rundfunk ist nicht vor ähnlichen Gefahren gefeit: Zwar ist er in der Tat weniger kommerziellen dafür aber umso mehr administrativen Kolonialisierungstendenzen ausgesetzt.
Die Geschichte des deutschen Rundfunks lässt sich grob in vier Epochen unterteilen: der staatsnahe Rundfunk in der Weimarer Republik, der gleichgeschaltete Propaganda-Rundfunk der NS-Zeit, der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach 1945 und schließlich das duale Rundfunksystem ab 1984.
Die erste deutsche Rundfunkordnung trat Ende 1926 in Kraft. Sie sah eine grundsätzliche Aufgabenteilung zwischen der Reichspost und dem Reichsinnenministerium vor. Strukturell war das Radio damit bereits in seinen Anfängen Staatsrundfunk.
Ab 1932, sollten darüber hinaus sämtliche Inhalte staatlich verordnet werden. Damals erkannte der Reichskanzler Franz von Papen, dass sich das Radio zu politischen Marketingzwecken einsetzen ließ.
Ende 1932 trat daher eine Rundfunkreform in Kraft. Sie sah eine umfassende Verstaatlichung der Rundfunkgesellschaften vor. Inhaltliche und personelle Entscheidungen wurden weitgehend unter staatliche Aufsicht gestellt. Und selbst die Ausstrahlung einzelner Sendungen konnte verboten oder nur unter Auflagen gestattet werden.
1933 wurde der Rundfunk dann schließlich völlig verstaatlicht und unter den Nationalsozialisten gleichgeschaltet. Die Leitung und Aufsicht über den Rundfunk hatte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels. Während der folgenden Jahre erfüllte der Rundfunk vor allem die Funktion eines Propagandainstruments der Nationalsozialisten.
Öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Westdeutschland nach 1945
Nach Kriegsende strebten die Alliierten einen tiefen Bruch mit der Rundfunkpolitik der vorausgegangenen Jahrzehnte an. Sie waren überzeugt, dass nur mit einem unabhängigen Rundfunk die Voraussetzungen für eine funktionierende Demokratie gegeben sind.
Ziel war es, den Rundfunk, trotz der unterschiedlichen Besatzungszonen völlig unabhängig von zentralem staatlichen Einfluss zu halten. Auch aus diesem Grund griffen sie auf ein Modell zurück, das sich bereits in Großbritannien bewährt hatte, die British Broadcasting Corporation (BBC).
Das westdeutsche Konzept sah daher vor, dass drei relativ eigenständige Anstaltsorgane konstituiert wurden: der Rundfunkrat, der Verwaltungsrat und der Intendant. Offen blieb, wie die Gremien idealer Weise zu besetzen waren. Fest stand allenfalls, dass sie den Querschnitt der Bevölkerung widerspiegeln sollten und staatsfern zu besetzen waren.
Adenauer und das Zweite Deutsche Fernsehen
Die Alliierten konnten sich mit ihrer Idee eines politisch unabhängigen Rundfunks nur schwer durchsetzen. Von Anfang an bemühten sich deutsche Politiker energisch, Einfluss und Kontrolle über die Anstalten zu erlangen.
Diese Versuche der administrativen Kolonialisierung spiegelt exemplarisch der jahrzehntelange Streit über die Aufgaben des öffentlich-rechtlichen Fernsehen wieder, das 1954 sein Programm aufnahm. Von Beginn an entbrannte nicht nur eine hitzige Debatte um die Ausstrahlung von Werbung und damit um seine Kommerzialisierung – sondern auch um die Einführung eines weiteren, allerdings von der Bundesregierung kontrollierten und privat bezuschussten Fernsehkanals.
Diese Diskussion gewann insbesondere nach dem Sieg der CDU bei den Bundestagswahlen 1957 an Fahrt. Die Christdemokraten erhielten die absolute Mehrheit und die im Amt bestätigte Regierung Adenauer machte sich daran, den Aufbau eines zweiten Fernsehsenders vorzubereiten. Dieser sollte noch vor den Bundestagswahlen 1961 auf Sendung gehen, um die CDU im nächsten Wahlkampf zu unterstützen.
Trotz der energischen Einwände verschiedener Landesregierungen gründete die Bundesregierung im Juli 1960 die „Deutschland-Fernsehen-GmbH“. Für die Produktion der Inhalte sollte die bereits Ende 1958 gegründete „Freie Fernsehen GmbH“ – als eine Medienanstalt des Bundes – zuständig sein. Sie wurde maßgeblich über Zuschüsse aus der Wirtschaft und über Kredite finanziert.
Die SPD-Länder Hamburg, Hessen, Bremen und Niedersachsen riefen daraufhin das Bundesverfassungsgericht gegen die Adenauer-Gründung an – mit Erfolg. Karlsruhe beschied: „dass der Bund sowohl gegen die grundgesetzliche Abgrenzung der Verwaltungsbefugnisse von Bund und Ländern als auch […] schließlich gegen die durch Art. 5 GG gewährleistete Rundfunkfreiheit verstoßen hat.“
Dieses klare Votum des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1961 sollte übrigens nicht das einzige dieser Art bleiben: Es ist vielmehr nur das erste in einer Reihe von zwölf Urteilen des obersten Gerichts zur Rundfunkfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Bundesländer einigten sich in den Monaten nach der Entscheidung rasch auf eine Alternative und beschlossen eine weitere unabhängige öffentlich-rechtliche Anstalt zu gründen. Zum 1. Januar 1962 trat der Staatsvertrag über das „Zweite Deutsche Fernsehen“ als zwölfte Rundfunkanstalt in Kraft.
Allerdings sorgten die Parteien bei der Besetzung des Fernseh- wie auch des Verwaltungsrats von Beginn an dafür, dass sie die Kontrolle über den neuen Kanal behielten. So wurden in den Fernsehrat 14 Vertreter der Bundes- und Landesregierungen und darüber hinaus 12 Parteienvertreter entsandt. Andere gesellschaftlich relevante Institutionen, wie Kirchen, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, durften jeweils drei Kandidaten für den Kontrollrat auswählen, aus denen jedoch die Ministerpräsidenten dann die Mandatsträger bestimmen durften. Auch der Verwaltungsrat war von Anfang an fest in parteipolitischer Hand.
Der Fall Brender
Diese administrative Kolonialisierung unterhöhlt nachhaltig die oft betonte Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Welche Folgen eine solche parteipolitische Okkupation bis in die Gegenwart nach sich zieht, lieferte erst kürzlich die „Casa Brender“. Im April dieses Jahres musste der Chefredakteur des ZDF, Nikolaus Brender, seinen Posten räumen, nachdem der Verwaltungsrat sich gegen eine Verlängerung seines Vertrages ausgesprochen hatte.
Der Verwaltungsrat besteht aus 14 Mitgliedern, die vom Bund, den Ländern und dem Fernsehrat bestimmt werden. Den Vorsitz hat der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck von der SPD inne, sein Stellvertreter ist der Christdemokrat Roland Koch.
Brender wurde in der Anstalt vor allem für seine Unabhängigkeit geschätzt. Von Anfang setzte er sich für die Freiheit von politischer Beeinflussung sowie die Trennung von Werbung und journalistischer Berichterstattung ein. Seine unbequeme Eigenständigkeit bewies er nicht zuletzt im Schlagabtausch mit dem gerade abgewählten Bundeskanzler Gerhard Schröder am Abend des 18. September 2005.
Die Gegner des Chefredakteurs, allen voran der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch, führten keine überzeugendes Sachargumente an, die hätten begründen können, warum Brenders Vertrag nicht verlängert werden sollte. Seine Gegner unterstellten ihm vielmehr „keine famose Bilanz“.
In einem offenen Brief empörten sich daraufhin nicht nur 14 prominente ZDF-Kollegen gegen die Einmischung der Politik. Auch 35 renommierte Staatsrechtler riefen in einem dazu auf, von „der beabsichtigten staatlichen Einflussnahme auf die Wahl des Chefredakteurs“ abzulassen.
Die administrative Kolonialisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
In der Tat ist die Kontrollinstanz des Verwaltungsrates zugunsten parteipolitischer Interessen erneut instrumenalisiert worden. Welche Folgen dies haben wird, da nun die Machtverhältnisse im ZDF nun sogar für alle sichtbar zutage getreten sind, kann man sich in Hinblick auf zukünftige Redaktionsentscheidungen leicht selbst beantworten.
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Beck hat kürzlich angekündigt, den ZDF-Staatsvertrag auf seine Verfassungsmäßigkeit prüfen lassen. Möglicherweise werden sich noch weitere Länder diesem Normenkontrollantrag anschließen. Dieser Schritt ist sicher zu begrüßen. Dennoch: Offenbar kann sich das öffentlich-rechtliche System aus sich selbst heraus nicht vor einen solch massiven Eingriff durch die Politik schützen.
Festzuhalten bleibt: Ursprünglich planten die Alliierten im jungen Nachkriegsdeutschland einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk einzuführen, der die politische Macht kontrollieren sollte – nicht umgekehrt. Anspruch und Wirklichkeit klaffen jedoch bis heute zunehmend auseinander: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk verkam stattdessen zur Beute der Parteienpolitik; das Bundesverfassungsgericht hingegen ist zur obersten medienpolitischen Kontrollinstanz aufgestiegen, die derzeit noch in der Lage zu sein scheint, die anhaltenden Versuche der administrativen Kolonialisierung abzuwehren.
[…] handelt von der Tendenz einer kommerziellen Kolonialisierung der Printmedien, der darauf folgende dritte Teil von der einer administrativen Kolonialisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Im vierten […]