Die Krise der Printmedien
Habermas’ Resümee mag aus gegenwärtiger Sicht übertrieben pessimistisch erscheinen.
Man darf allerdings nicht vergessen, dass seine Analyse unter dem Eindruck der damaligen politischen Situation der Adenauer-Republik entstanden ist. Zudem gingen in den 60er Jahren Tausende Menschen gegen die erdrückende Macht des Springer-Konzerns und für die Meinungsfreiheit auf die Straße.
Hingegen verfügen wir heute über eine vergleichsweise große publizistische Vielfalt – zumindest auf den ersten Blick. Denn gerade die gegenwärtige wirtschaftliche und journalistische Entwicklung der Printmedien lässt durchaus Parallelen zu der Analyse Habermas’ erkennen.
Nicht allein der Markt der Printmedien ist von dieser Entwicklung betroffen. Der Prozess der Kolonialisierung lässt sich ebenfalls an der Institutionalisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aufzeigen – also gerade dort, wo ein Marktversagen gar nicht stattfinden sollte.
Aber kommen wir zunächst auf die gegenwärtige Situation der Printmedien zu sprechen.
Seit einigen Jahren befinden sich insbesondere die Tageszeitungen in einer tiefen wirtschaftlichen und journalistischen Krise. Nicht zuletzt das Internet ist für die herben Verluste im Anzeigengeschäft verantwortlich. Allein im Jahr 2009 brachen die Werbeumsätze der Tageszeitungen erneut um knapp 16 Prozent ein.
Zugleich können die Zeitungen ihren Auflagenverlust nicht stoppen. Zwischen 1995 und 2010 haben die Kaufzeitungen in Deutschland rund ein Drittel ihrer Auflage eingebüßt.
Einsparungen, Entlassungen und Outsourcing
Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Denn die Lösungsansätze der Verlage scheinen das Problem bislang eher zu verschärfen. Ihre Devise lautet: Was auf der Einnahmenseite fehlt, muss auf der Ausgabenseite wieder hereingeholt werden. Mit anderen Worten: Sparen, sparen, sparen – vor allem im redaktionellen Bereich, ungeachtet der dramatischen Folgen für die publizistische Qualität der Produkte.
Die Einsparungen werden hauptsächlich auf drei Wegen erzielt: Zum Ersten werden die Redaktionen „umstrukturiert“, was in der Regel zur Bündelung der redaktionellen Arbeitsprozesse und damit zu Schrumpfredaktionen führt; zweitens werden massive Lohnkürzungen durchgesetzt und drittens redaktionelle Tätigkeiten in eigens dafür geschaffene Fremdunternehmen ausgelagert.
Die Folgen dieser Radikalkuren sind insbesondere im Bereich des lokalen Journalismus erkennbar: In den meisten Regionen gibt es heute kaum noch mehr als eine Tageszeitung. So hat sich der Anteil der Landkreise und kreisfreien Städte, in denen nur noch eine Zeitung angeboten wird, seit 1954 von 15 auf 60 Prozent – und somit um ein Vierfaches erhöht. Und selbst die regionalen Monopolblätter sind längst nicht mehr eigenständig, sondern sammeln sich häufig unter dem Dach international agierender Konzernen.
Diese Ausdünnung der Presselandschaft hat schwerwiegende Folgen für die demokratische Öffentlichkeit und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gerade die lokalen Tageszeitungen besitzen für die Information und Meinungsbildung – vor allem auch im sozialen Nahbereich – eine unschätzbare Bedeutung, zumal es für die lokale Presse bislang keinen adäquaten publizistischen Ersatz im Fernsehen oder Internet gibt.
Darüber hinaus beschleunigt ironischerweise die zunehmende Marktkonzentration den Rückgang der Printmedien. So haben wissenschaftliche Untersuchungen aufgezeigt, dass die Auflagendichte von Lokalzeitungen in Gebieten deutlich höher ausfällt, wenn Zeitungstitel in einer Region miteinander konkurrieren und gezwungen sind, sich intensiv um die Gunst der Leser zu bemühen.
Die kommerzielle Kolonialisierung der Printmedien
Entscheidend aber ist, dass ein Marktwettbewerb unter den Medien eigentlich zu einer ausgewogenen Vielfalt an publizistischen Angeboten führen sollte. Stattdessen schlucken vorrangig profitorientierte Unternehmen ganze Verlage und in Folge nähern wir uns auf Kosten der Pluralität einer zunehmend oligarchischen Marktsituation an.
Hinzu kommt, dass die Krise der Printmedien zugleich eine Krise des Journalismus ist. Der steigende ökonomische Druck führt zu einem Absenken der publizistischen Qualität, die Angebotsausdünnung und die inhaltliche Homogenisierung der Presselandschaft schließlich zu einer Entpolitisierung der Inhalte. Nicht zuletzt droht eine wachsende Vermischung von Journalismus und Werbung, erst recht, wenn die Konzerne selbst auf einen freundlich gesinnte Berichterstattung angewiesen sind.
Auf diese Weise vollzieht sich der Dreischritt der kommerziellen Kolonialisierung von der Aneignung über die Entpolitisierung zur Entdemokratisierung der Medien. Denn mit dem beschleunigten Niedergang der Printmedien ist unmittelbar ein Lebensnerv demokratischer Öffentlichkeit getroffen.
[…] eine Übersicht über Jürgen Habermas’ “Strukturwandel der Öffentlichkeit”. Der zweite Teil handelt von der Tendenz einer kommerziellen Kolonialisierung der Printmedien, der darauf folgende […]